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Angleichung der Renten in den neuen Bundesländern

 

  • 01. Die Renten in Ost- und Westdeutschland werden seit der Wiedervereinigung zwar von einer gesetzlichen Rentenversicherung ausgezahlt, aber noch immer unterschiedlich berechnet. Dies wird vielfach als unbefriedigend empfunden. Aber eine einheitliche Rentenberechnung, die einen gesamtdeutschen aktuellen Rentenwert und einen gesamtdeutschen Durchschnittsverdienst festlegt und die Werte der Vergangenheit darauf umrechnet, würde zu einer Schlechterstellung der Versicherten und Rentner in Ostdeutschland führen, was wiederum politisch auch nicht gewollt ist.

 

 

  • 02. Gegenwärtig wird zur Feststellung der individuellen Rentenanwartschaften (Entgeltpunkte) das individuelle beitragspflichtige Einkommen je nach Beschäftigungsort am west- bzw. ostdeutschen Durchschnitt gemessen, und daraus ergeben sich die jeweiligen Entgeltpunkte bzw. Entgeltpunkte (Ost). Der aktuelle Rentenwert (Ost) wurde im Jahr 1992 so festgelegt, dass das Rentenniveau Ost dem im Westen entsprach. Die seinerzeit zügig erwartete Lohnangleichung in den neuen Ländern sollte dann über entsprechend höhere Rentenanpassungen Ost zu einer raschen Angleichung von West- und Ost-Renten führen.

 

  • 03. Die Erwartung einer vollständigen Ost-West-Lohnangleichung hat sich allerdings bis heute nicht erfüllt. Im Westen beträgt das (vorläufige) Durchschnittsentgelt 2015 34.999 Euro pro Jahr. Der Durchschnittsverdiener bekommt genau einen Entgeltpunkt pro Jahr gutgeschrieben. Im Osten liegt das entsprechende Durchschnittsentgelt 2015 mit 29.870 Euro um fast 15 Prozent niedriger; zum Erwerb eines Entgeltpunktes reichen hier also niedrigere Beiträge als im Westen. Auf der anderen Seite fällt aber auch der aktuelle Rentenwert (Ost), der den jeweils aktuellen Gegenwert eines Entgeltpunktes in Euro pro Monat wiedergibt, nach wie vor niedriger aus. Die individuelle Rente ergibt sich aus der Multiplikation der Summe der erworbenen Entgeltpunkte mit dem jeweiligen aktuellen Rentenwert. Da das Durchschnittsentgelt (Ost) weiter unter dem westdeutschen Niveau liegt (2015: 85 Prozent) als der aktuelle Rentenwert (Ost) unter dem aktuellen Rentenwert (2015: 93 Prozent), überwiegt der erstgenannte Effekt: Die ostdeutschen Rentenversicherten erwerben daher derzeit bei gleich hohem Entgelt um 8,5 Prozent höhere Rentenansprüche als die westdeutschen Versicherten.


 

Kennziffern zur Ost-West-Angleichung (2015)

  West Ost Ost-West-Relation
aktueller Rentenwert (ab 1. Juli) 29,21 27,05 92,6%
Durchschnittsentgelt (vorläufig) 34.999 29.870 85,3%
Entgeltpunkte bei 34.999 Euro p.a. 1,0000 1,1717 117,2%
Anwartschaft bei 34.999 Euro p.a. 29,21 31,69 108,5%

 

 

  • 04. In der aktuellen rentenpolitischen Diskussion wird oftmals eine Angleichung des ost- an den aktuellen Rentenwert (der für Westdeutschland gültig ist) vorgeschlagen, weil eine nach Landesteilen differenzierte Rentenberechnung 25 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht mehr zu rechtfertigen sei. Wenn beispielsweise zum 1. Januar 2016 der aktuelle Rentenwert (Ost) auf das Westniveau angehoben würde, wäre dies mit einer einmaligen außerordentlichen Rentenerhöhung um 8 Prozent für den gesamten ostdeutschen Rentenbestand verbunden. Damit wären Mehrausgaben von rund 4 Mrd. Euro im Gesamtjahr verbunden, die wiederum einen um etwa 0,3 Prozentpunkte höheren Beitragssatz erforderlich machten, womit auch die Bundeszuschüsse um rund 1 Mrd. Euro pro Jahr ansteigen müssten. Alternativ könnten auch die gesamten Mehrausgaben vom Bund übernommen werden.17 In diesem Fall käme es jedoch nicht zu der sonst eintretenden Abmilderung des Kostenschubs im weiteren Zeitverlauf dadurch, dass die jährlichen Anpassungen aller Renten über den Beitragssatzfaktor in der Rentenformel geringer ausfielen. Im Ergebnis würde der ohnehin schon bestehende Vorteil ostdeutscher Versicherter, die für ihre Beiträge höhere Rentenanwartschaften als westdeutsche Versicherte erwerben, weiter wachsen.

 

  • 05. Wenn hingegen im Sinne einer konsequenten Angleichung der Rentenberechnung gleichzeitig auf die Höherwertung der ostdeutschen Arbeitsentgelte verzichtet würde, fielen die künftig pro Jahr erworbenen Entgeltpunkte bei unverändertem individuellem Arbeitsentgelt um etwa 14,5 Prozent niedriger aus. Zwar wären diese Punkte dann rund 8 Prozent mehr wert, insgesamt bliebe aber ein merklicher Verlust für die meisten ostdeutschen Beitragszahler und künftigen Rentner, weil der derzeitige Vorteil der Höherwertung der ostdeutschen Löhne und Gehälter entfällt. Heutige Rentner, deren Rentenpunkte ja unverändert blieben, würden dagegen durch den höheren Rentenwert besser gestellt, ohne einen Nachteil hinnehmen zu müssen; und auch für viele rentennähere Jahrgänge würde der Vorteil aus dem höheren Rentenwert den Nachteil aus dem Verlust der Arbeitsentgelthochwertung noch überkompensieren. Auf längere Sicht würde die bestehende Verzerrung bei der Rentenberechnung aber beseitigt, die eine systematische Begünstigung der ostdeutschen Versicherten darstellt. Versicherte in Ostdeutschland würden dann behandelt wie Versicherte in Westdeutschland – mit dem Ergebnis, dass ihre Renten niedrigerer als nach geltendem Recht ausfielen. Perspektivisch würden die Rentenausgaben in Ostdeutschland in der Summe niedriger ausfallen.

 

  • 06. Aus ostdeutscher Sicht überwiegt insgesamt der Vorteil aus der Höherbewertung der Arbeitsentgelte seit 1997 den Nachteil aus dem niedrigeren aktuellen Rentenwert. Der relativ schnellere Anstieg des ostdeutschen aktuellen Rentenwerts im Vergleich zu den ostdeutschen Entgelten beruht in erster Linie auf unterschiedlichen Fortschreibungsregeln für beide Größen. Während das Durchschnittsentgelt18 mit der Lohnentwicklung gemäß den VGR jährlich fortgeschrieben wird, ist es bei der Rentenanpassung im Ergebnis näherungsweise die Entwicklung der beitragspflichtigen Entgelte der Rentenversicherten. Während die Ost-West-Relation der Durchschnittsentgelte von 2004 bis 2013 um etwa 1,2 Prozentpunkte gestiegen ist, hat sich die Ost-West-Relation der beitragspflichtigen Entgelte im gleichen Zeitraum um 3,3 Prozentpunkte erhöht. Hinzu kommt eine besondere Schutzklausel, die vorschreibt, dass die ostdeutschen Rentenanpassungen zwar höher, aber nicht niedriger als im Westen ausfallen dürfen.19 Eine auf der Lohnkonvergenz beruhende vollständige Angleichung von aktuellem Rentenwert und aktuellem Rentenwert (Ost) würde deshalb früher erreicht als eine vollständige Angleichung der Löhne und Gehälter.

 

  • 07. Ein Rentenversicherter, der seit der Wiedervereinigung (1990) im Osten ein Einkommen in Höhe des westdeutschen Durchschnittsentgelts (gemäß Anlage 1 SGB VI) erzielt hat, hat bereits bei geltendem Recht während dieser 25 Jahre einen monatlichen Rentenanspruch erworben, der den des westdeutschen Durchschnittsverdieners um 140 Euro pro Monat (bzw. 19,4 Prozent) übersteigt. 20 Nach einer Angleichung der aktuellen Rentenwerte stiege dieser Vorteil sogar auf 211 Euro (bzw. 29,2 Prozent). Je länger auf eine Angleichung der Rentenberechnung verzichtet wird, umso größer fällt dieser Unterschied zugunsten der ostdeutschen Versicherten aus. Im Übrigen ist früher oder später ein Erreichen und schließlich Überschreiten des aktuellen Rentenwerts durch den aktuellen Rentenwert (Ost) allein schon aufgrund der asymmetrischen Wirkung der bestehenden Schutzklausel für die Anpassung Ost vorgezeichnet.

 

  • 08. Die Kritik am niedrigeren aktuellen Rentenwert (Ost) ist sicherlich auch im Zusammenhang mit der anhaltenden Divergenz der Entgeltniveaus zwischen den alten und den neuen Bundesländern zu sehen. Dabei sollte aber nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Kaufkraft der Einkommen durch die Lebenshaltungskosten bestimmt wird, die insbesondere hinsichtlich der Wohnkosten differieren, aber auch bei arbeitsintensiven Dienstleistungen beträchtliche Unterschiede aufweisen.21 Insgesamt sind die Lebenshaltungskosten in Ostdeutschland niedriger. Eine vollständige Angleichung der Durchschnittsentgelte liegt auch weder in der Kompetenz der Politik noch ist sie zu erwarten – wie persistente Einkommensdifferenzen auch zwischen westdeutschen Regionen belegen.

 

 

  • 09. Die gegenwärtige Regelung ist für die ostdeutschen Versicherten von Vorteil. Die Rentner profitieren von den vergangenen und die Beitragszahler zusätzlich von den noch laufenden Hochwertungen ihrer Einkommen. Eine Angleichung der aktuellen Rentenwerte bei Beibehaltung der Hochwertung ostdeutscher Einkommen wäre mit einer zusätzlichen Besserstellung der ostdeutschen Versicherten, entweder einem höheren Bundeszuschuss oder höheren Beitragssätzen und in deren Folge verminderten Rentenanpassungen verbunden. Zudem würde damit weiterhin keine bundeseinheitliche Rentenberechnung geschaffen, sondern die Differenzierung nach Ost und West fortgeschrieben.

 

  • 10. Der Sozialbeirat kommt zu dem Ergebnis, dass sich zum jetzigen Zeitpunkt ein Beibehalten der geltenden Regelungen als sinnvoller erweisen könnte als eine Reform: Im Fall der Herstellung einer einheitlichen Rentenberechnung würde zwar formal die als Benachteiligung der Menschen in Ostdeutschland empfundene rentenrechtliche Ungleichbehandlung abgeschafft, tatsächlich würden Versicherte in Ostdeutschland aber schlechter gestellt. Im Fall einer bloßen Rentenangleichung (Angleichung des aktuellen Rentenwerts (Ost) an den aktuellen Rentenwert) ohne Beendigung der bisherigen Höherbewertung würde hingegen die schon heute bestehende Schlechterstellung der Beitragszahler in Westdeutschland weiter verschärft, weil die mit ihren Beiträgen erzielten Rentenansprüche dann noch stärker hinter den mit gleichen Beiträgen erzielten Rentenansprüchen von Beitragszahlern im Osten zurückblieben.